Angriff der Gartensteine

Hier also mein erster WG-Geschichten-Beitrag:

Eine Kurzgeschichte für die fünfte Clue Writing Challenge.

Angriff der Gartensteine

Peter saß im Garten und rauchte, als er es das erste Mal bemerkte.

Er war gerade damit beschäftigt gewesen, darüber zu lamentieren, dass Raucher in der heutigen Zeit zu einer immer stärker verfolgten Minderheit gehörten. Selbst zuhause waren sie nicht mehr vor der Verfolgung sicher. Das wusste er aus eigener Erfahrung, denn nur wegen seiner Frau saß er bei Wind und Wetter hier draußen um zu paffen. Und dabei hatte er den ersten bemerkt…

Der Stein lag einfach nur da. Mitten auf dem Rasen. Als hätte er schon immer dort gelegen. Aber das hatte er nicht. Peter war sich da sehr, sehr sicher. Seine Kippe in dem Aschenbecher neben seinem Stuhl ausdrückend beobachtete er den so harmlos aussehenden Eindringling mit Argusaugen. Doch der Schlawiner blieb einfach dort liegen, wo er war.

Zwei Zigaretten später hatte Peter die Nase voll und schritt entschlossen zur Tat. Mit Todesverachtung nahm er den Stein und trug ihn zum Blumenbeet seiner Frau. Sollte er doch dort als Deko dienen.

Aber als er sich umdrehte, lag der fiese Findling doch tatsächlich wieder dort, wo er ihn gerade erst entfernt hatte. Empört widerholte er das Prozedere und legte ihn zu seinem Kollegen ins Blumenbeet.

Es half nichts. Der Stein war bereits wieder an Ort und Stelle, bevor er ihn auch nur abgelegt hatte. Das war nun wirklich zu viel. Mit dem Wissen, so nicht weiter zu kommen, setzte er sich wieder in seinen Stuhl und drehte sich eine weitere Zigarette. Da sein Tabak ausgegangen war, bediente er sich nun zum vierten Mal an der Marke seines Sohnes.

Nachdenklich inhalierte Peter den blauen Dunst und stierte die Steine dabei an. Ja. Steine. Nicht nur der eine vom Anfang. Nein. Offenbar hatte er es hier mit einer regelrechten Rolling-Stones-Bewegung zu tun.

Das brachte ihn auf eine geniale Idee… Aber zuvor wollte er etwas essen. Und heftigen Durst hatte er auch irgendwie. Seinem plötzlichen Heißhunger folgend ließ er seinen qualmenden Stummel zurück und eroberte mit wehenden Fahnen die häusliche Küche.

Niemand da.

Gut. Dann konnte ihn auch niemand am Plündern hindern. Der Kühlschrank war ein leichtes Ziel, nahezu wehrlos ließ er sich öffnen und seine Eingeweide inspizieren. Enttäuschend. Peter fiel ein, warum hier so eine gähnende Leere herrschte. Keiner hatte eingekauft. Die Flasche Mineralwasser an der Innenseite der Türe war sein erstes Opfer. Brutal drehte er den Deckel ab und verschlang die Hälfte der Flüssigkeit ohne abzusetzen. Einen brachialen Blöker später machte er sich über die kümmerlichen Überreste her, die man mit gutem Willen als Lebensmittel bezeichnen konnte.

Eine Phase des Suchens, Hackens, Putzens und Schnippelns begann. Dann war es vollbracht. Er hatte gekocht! Nun, er hatte einen grob gehackten Mischsalat fabriziert, der in Soße ertränkt und wie durch ein Wunder nicht mit seinen Fingerkuppen garniert war. Siegreich verließ er das Schlachtfeld, um seinen eigentlichen Plan umzusetzen. Behutsam stellte er die Salatschüssel auf seinen Schreibtisch, um die widerspenstige Trompete von der Wand zu nehmen. Das Instrument war zwar alt, doch er würde der Steininvasion im Garten schon den Marsch blasen. Genau.

Unterwegs nahm er noch die Couchdecke mit, die er sich wie einen Umhang um die Schultern knotete, um damit mögliche Gegenangriffe abzuwehren. Durch diesen Gedanken beflügelt, ging er noch einmal in die Küche, um ihr nach einem vehementen Kampf mit den dort hausenden Schränken ein Nudelsieb abzutrotzen.

So endgültig gerüstet stellte er sich seinem Feind. Acht Steine hatten sich auf taktischen Positionen überall auf der Rasenfläche verteilt und warteten nur auf ihn. Er konnte ihr strategisches Genie geradezu riechen. Peter war erschüttert von so viel militärischem Können. Das hatte er von Steinen nicht erwartet.

Trotzdem wollte er nicht kneifen und setzte seinen Mischsalat mit Soße auf den Boden, bevor er tief einatmete und die Backen blähte. Doch das Instrument machte keinen Mucks. Nur Peters Kopf lief puterrot an. Schnaufend musste er sich eingestehen, dass irgendwo in seinem Schlachtplan ein Fehler steckte.

Und die Steine wussten das.

Wie auf ein Kommando begannen sie vorzurücken. Peter verließ endgültig der Mut. Er wich zurück, Stück für Stück. Dabei hatte er seinen Stuhl ganz vergessen und plumpste in die Sitzfläche, als er ihn erreichte. Stöhnend musste er mitansehen, wie sein Feind die älteste Kriegsstrategie anwendete, die ihm einfiel. Sie hungerten in aus, indem sie seine Lebensmittel vernichteten.

Hilflos und geschlagen beobachtete Peter das Salatmassaker. Was sollte er nun tun? Als er sich ratsuchend umblickte, bemerkte er die Reste seiner angebrochenen Zigarette. Frustriert zündete er den Stummel an und hustete. Doch was half es schon? Er war geschlagen und seine Feinde fraßen sein essen auf ihrem Siegesfest. Störrig zog er nochmals an der Zigarette, derweil ihn eine seltsame Müdigkeit einlullte. Das war vermutlich der endgültige Tod, den die Steine ihm nun brachten. Peter versuchte sich aufzurichten, doch seine Glieder waren schwer wie Blei. Er schaffte es nicht und fiel. Tief…

Etwa eine halbe Stunde später kam Gisela nach Hause. Als sie mit einer Einkaufstasche beladen in die Küche trat, bekam sie fast einen Schlag.

„Ach du meine Güte! Was ist denn hier geschehen?“

„Krass“, kommentierte ihr halbstarker Sohn das Chaos, das sich vor ihnen ausbreitete.

„Peter!“, rief seine Mutter.

Keine Antwort. Beunruhigt stellte Gisela den Einkauf ab und machte sich auf die Suche nach ihrem Gatten. „Hohl du Luci. Und dann die anderen Taschen“, gab sie ihrem Sohn noch Anweisung, bevor sie ihre Quest begann.

„Peter! Peeeter!“, schallte es durch das Haus, bis sie ihren Angetrauten endlich im Garten fand.

Das Nudelsieb schief auf dem Kopf und in die Wohnzimmerdecke eingewickelt, schnarchte ihr holder Göttergatte in seinem Plastikstuhl. Vor ihm eine Salatschüssel mit Soßenresten. Darum wiederum die Schildkröten ihrer Tochter, die mit der gleichen Soße bekleckert die Salatreste vertilgten.

Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihn zu wecken und anzuschreien, doch die Rückenschmerzen, die er durch den Stuhl bekommen würde, sollten als Strafe für den Anfang reichen. Dann hatte er Zeit ihr zu erklären, was hier vorgefallen war. Danach konnte sie ihn immer noch zur Schnecke machen.

„Okay, alles drin“, meldete ihr Sohn sich und steckte seinen Kopf aus der Verandatüre.

„Schön. Fang die Schildkröten deiner Schwester ein. Ich mach den Einkauf fertig.“

„Aber das…“

„Sind die Tiere deiner Schwester. Ich weiß. Motz nicht. Danach gehen wir Pizza essen. Dein Vater lädt uns ein, bis er die Küche wieder instand gesetzt hat.“

„Oh. Okay“, entgegnete ihr Sprössling und machte sich an die Arbeit. Nachdem seine Mutter wieder ins Haus zurückgekehrt war, nahm er außerdem das Tabakpäckchen an sich, das er gestern Abend vergessen hatte. Sein Vater hatte ganz schön viel von seinem Gras geraucht, stellte er fest, als er es heimlich wieder im Schildkrötengehege verstaute. Aber gut. Wenigstens gab es Pizza…