Das Kriegstagebuch des Prancing Nightmane – Teil 1

Es sollte ein ganz normaler Tag werden im Hauptquartier der Sprachbeobachtung unter meinem Kommando. Morgendliches Antreten und Frühsport war bereits absolviert, der Himmel war frei und das Wetter klar. Wie schon gesagt, es sah alles nach einem ganz normalen Tag aus. Gelangweilt stand ich in meiner Kommandozentrale und beobachtete meine Mannschaft beim Training und dem ganz normalen Tagesablauf.

 

Richtig, meine Mannschaft. Vielleicht sollte ich die kurz vorstellen.

Da wäre zuerst der Edelmann von Sans zu nennen – ein Franzose mit merkwürdigem Aussehen, aber wenn man ihm etwas auftrug, dann wurde es auch erledigt. Edelmann von Sans übte gerade mit dem Gefreiten Schreibmaschine. Schreibmaschine war ein ganz anderes Kaliber als der Edelmann, er verstand nicht viel von Feingefühl, aber er war ziemlich flink. Ich hatte schon öfter das große Potential des Gefreiten gegenüber dem Vorgesetzten General Dude N erwähnt.

Weiterhin gab es da noch den Unteroffizier Kaffee. Vor Ewigkeiten wurde er von einem Stützpunkt im Nahen Osten abgezogen und war seither bei mir stationiert. Er schien immer auf dem Sprung zu sein und konnte nie wirklich still stehen, aber das war gut. Energie wurde hier immer reichlich gebraucht. Oft war er ein inspirierendes Beispiel für die Soldaten.

Weiter waren da noch Stabsgefreiter Backspace, Stabsarzt Kommentar, Kaplan Spaziergang und die Soldaten Fluch, Rotstift und Facepalm. Das waren natürlich nicht alle, aber diese Kameraden möchte ich hier namentlich nennen.

Und natürlich war da auch noch mein treuer Adjutant Mr. Amboss. Ohne Mr. Amboss hätte ich sicherlich schon öfter auf Granit gebissen, aber er hielt immer eisern zu mir und half mir, die Soldaten zu einer Einheit zusammenzuschmieden.

 

Während ich also gedankenverloren hinunter starrte, räusperte sich Mr. Amboss neben mir.

„Sir?“

Ich seufzte. Ich seufzte ziemlich oft, seit ich hierher versetzt worden war. Ich hatte gelesen, dass Offiziere, die zu alt für den Scheiß sind, das halt so machen würden.

 

„Mr. Amboss? Was gibt es?“

„Der Bericht der Aufklärung ist eingetroffen. Das sollten Sie sich ansehen.“

Abermals seufzte ich und erinnerte mich daran, dass das Spezialkommando zur besseren Erziehung im Umgang mit Tropen und Klischees erst in einigen Wochen eintreffen würde, um meinen Untergebenen ein Seminar der besonderen Art zu geben.

„Dann wollen wir doch mal einen Blick drauf werfen, Mr. Amboss.“ Der Amboss nickte mir zu, ich ließ mich auf alle Viere fallen und zusammen begannen wir unseren Weg in den Kartenraum.

Der Bericht der Aufklärung lag bereits sortiert auf einem Tisch. Ich beugte mich darüber und nach nur drei Sekunden des flüchtigen Blickes hatte ich die Lage erfasst.

„Diese…“ Ein Fluch blieb mir im Hals stecken.

„Ja Sir. Der Feind ist mit einem neuen Bataillon auf dem Vormarsch. Wie lauten Ihre Befehle, Sir?“

Ich schnaubte verärgert. Dass Mr. Amboss das überhaupt noch fragen musste.

„Alarm auslösen!“  Meine Stimme gellte durch den Raum und alarmierte den Wachstatisten A, der in dieser Geschichte keine andere Aufgabe haben sollte, als eben jetzt den Alarm auszulösen.

Bevor ich meine nächsten Worte sprach, hatte ich das dumpfe Gefühl, als würden sich zwei schwarze Balken um meine Augen legen.

„Korrekturmarker ausgeben!“

 

 

Das Getrampel gepanzerter Stiefel erklang im Hauptquartier, während Mr. Amboss und ich selbst zur Waffenkammer eilten. Selbstverständlich hatten wir die Mittel zur persönlichen Verteidigung immer am Leibe, aber wir wollten natürlich auch so richtig mitmischen können. Wie man das als verantwortungsbewusster Kommandant halt tat.

 

„Das Übliche, Sir Nightmane, Sir?“ Ich starrte den diensthabenden Quartiermeister lange und durchdringend an.

Nach sehr kurzer Zeit traten Mr. Amboss und ich voll ausgerüstet vor die Soldaten, die Haltung angenommen hatten und auf mein Kommando warteten.

In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei einigen Soldaten streng genommen nicht einmal um Lebewesen handelte und ich selbst überdies auch kein Mensch war, adressierte ich meine Untergebenen in der Regel einfach als Soldaten.

 

„Soldaten! Ich werde euch nichts vormachen! Der Feind nähert sich und er ist stark in Zahl und Waffen! Er wird keine Gnade kennen und will hier durch! Doch lassen wir uns das gefallen?“

Da meine Soldaten in der Lage waren, den pragmalinguistischen Sinn dieser rhetorischen Frage zu erkennen, antworteten sie kollektiv mit einem geschmetterten „NEIN!“

 

Ich versuchte, mich an die Inhalte meines Offizierhandbuchs „Motivierende Reden und warum sie so in der Realität nicht funktionieren würden, aber in der Fiktionalität ganz töfte sind“ zu erinnern. Dummerweise hatte das Spezialkommando zur besseren Erziehung im Umgang mit Tropen und Klischees dieses Handbuch beim letzten Besuch mitgenommen.

Also ging ich direkt zum ernsten Teil über.

„Auf Gefechtspositionen!“

Sofort zerstreuten sich die Soldaten vor mir sprintend und ich war mal wieder überrascht, wieso sich dabei nicht die Hälfte meiner Untergebenen über den Haufen rannte.

 

Ich kanterte in die Gräben, die sich direkt vor dem Lager befanden und überprüfte die Aufstellung der Soldaten. Edelmann von Sans hatte das schwere Zensurmaschinengewehr bemannt und wartete gerade darauf, dass der Gefreite Schreibmaschine den ersten Kanister schwarze Tinte in die Munitionszufuhr einspannte.

Nach kurzer Zeit traf ich mich mit Mr. Amboss wieder, der seine Runde in der anderen Richtung des Grabensystems gemacht hatte.

„Alle bereit, Sir.“

„Ausgezeichnet.“

Mir fiel auf, dass ich schon längere Zeit nicht geseufzt hatte. Dann seufzte ich deswegen. Ich griff nach dem Feldstecher, den mir Mr. Amboss bereits darbot und suchte den Waldrand ab, der sich in etwa hundert Meter vor den Graben befand. Nicht zum ersten Mal stellte ich mir die Frage, wieso eigentlich so wenig Platz zwischen Lager und Wald gelassen worden war oder warum der Wald nicht einfach entfernt wurde. Aber als ich diesbezüglich eine Anfrage an General Dude N gestellt hatte, bekam ich bloß die Antwort „Der Plot verlangt das so.“

Dann sah ich sie. Ich konnte nicht genau sagen, was ich da sah, denn man verlangte schließlich von mir, so lange wie möglich die Identität der Gestalten  im Dunkeln zu lassen, indem ich alle möglichen Pronomen und Umschreibungen verwendete, die mir in den Sinn kamen. „Ich bin zu alt für diesen Scheiß“, dachte ich mir dann. Und seufzte.

Der Feind näherte sich schnell und beinahe lautlos. Längst hatten offensichtlich die restlichen Soldaten auch erkannt, dass der Kampf bald beginnen würde und griffen ihre Waffen fester – warum sie diese vorher nicht fest gegriffen hatte, entzog sich meinem Wissen.

Einmal atmete ich noch kontrolliert durch, hob meine Waffe und legte an. Und dann kamen sie über uns.

Ein Rudel Ausrufezeichen stürzte als Erstes in den Bereich vor dem Graben, wurde aber fast sofort vom Edelmann von Sans aufs Korn genommen und mit größter Genauigkeit zensiert. Zeitgleich eröffnete auch Backspace das Feuer.

Jetzt kamen die ersten Wörter in Sicht. Leicht gerüstete Truppe wie „Goblinn“ oder „tür“ stürmten heran, wurden aber zügig durch meine gut verteilten Soldaten korrigiert.

Minutenlang wogte das Gefecht so hin und her, immer wieder kamen größere Wellen aus dem Wald, doch nie erreichte der Feind wirklich den Graben. Der Boden war bereits durchweicht von Tinte und überall lagen abgetrennte Serifen.

Plötzlich durchbrach ein unförmiges Etwas die Verteidigungslinie und sprang direkt vor mir in den Graben. Ich starrte das „EinauKuche“ nur einen Moment lang an, bevor ich handelte. Hier half keine Korrektur mehr, es musste beseitigt werden. Bevor das Grauen mich berühren konnte, stieg ich und schlug dem Ungetüm meine Hufe ins e. Vokale waren oft Schwachstellen, gerade im Auslaut. Das..Ding wurde an die Grabenwand geschleudert und verharrte dort einen Augenblick. Ich nutzte die Gelegenheit, um schnell meine Waffe aus dem Holster zu ziehen und zu feuern. Der Rückstoß riss mir fast die Flinte aus dem Huf, aber das Resultat konnte sich sehen lassen. Der Eindringling lag jetzt regungslos am Boden, über und über bedeckt mit Klebezetteln, auf denen Dinge wie „Kein legitimer Ausdruck“ standen. Verdutzt starrte ich auf die Waffe und verfluchte in Gedanken den Quartiermeister. Das war nicht das, wonach ich verlangt hatte.

Wenig später versiegte der Strom der Angreifer; die Wenigen, die es tatsächlich in die Gräben schafften, wurden umgehend im Nahkampf niedergemacht.

Nachdem keine Gefahr mehr zu erkennen war, trottete ich durch den Graben und suchte nach meinem Adjutanten. Ich fand ihn verwickelt im Nahkampf mit der Interjektion „Aaaargh!!!“ Ich wusste, ich würde nicht eingreifen müssen. Mr. Amboss war Nahkampfspezialist.

 

Später, als alle Soldaten wieder ins Hauptquartier zurückgekehrt und die Waffen abgegeben worden waren, stand ich wieder am Fenster und blickte diesmal hinaus auf den Wald, der sich bis zum Horizont zu erstrecken schien.

Mr. Amboss trat herein, die Ambossbahn besorgt in Falten gelegt.

„Sir, über was denken Sie nach? Ich kenne Sie jetzt lang genug, um zu wissen, dass ich genau jetzt diese Frage stellen muss.“

 

„Wissen Sie, Mr. Amboss… Irgendwie habe ich diese Ahnung, dass wir noch eine ganze Zeit hier sein werden. Das war noch nicht alles.“